Trennung und Welteroberung

Trennung und Welteroberung

Sobald ein Baby sich fortbewegen kann, durch Krabbeln oder Laufen, will es die Welt entdecken und erobern. Dazu gehört auch, sich von den Eltern weg zu bewegen, um anschließend strahlend wieder in Mamas Arme zurückzukehren. Entscheidend für die kindliche Entwicklung ist es, dass die Eltern diesen ersten Abnabelungsprozess begrüßen und unterstützen. Warum dabei auch Grenzen eine wichtige Rolle spielen, erläutere ich in diesem Blogbeitrag.

 

Babys müssen die Welt entdecken

Gegen Ende des ersten Lebensjahres machen wir einen wichtigen Entwicklungssprung: Wir fangen an, unsere Aufmerksamkeit von der Mutter abzuwenden, um in die Welt zu schauen, sie zu entdecken und zu erobern. Dies ist der erste Schritt, uns abzunabeln, uns aus der Symbiose mit den Eltern zu lösen. Wunderbar, wenn wir als Babys dabei die vorbehaltlose Unterstützung von Mutter und Vater haben.

Anhand eines Beispiels möchte ich aufzeigen, wie es aussehen kann, wenn der Abnabelungsprozess unterbunden wurde:  

Eine 70-jährige Mutter schleppt einen schweren Koffer ins Krankenhaus, sie wuchtet ihn die Stufen hinauf, um an der Rezeption zu verkünden: „Mein Sohn ist krank!“ Der Sohn, ca. 50 Jahre alt, schleicht gebeugt hinterher. Dem Oberarzt verkündet die Mutter später stolz: “Wissens, sterben darf ich nicht, der kann nur den Teebeutel aufgießen und verhungert ohne mich!“

Warum ist dem so?

Der Sohn ist vollkommen abhängig von seiner Mutter und nicht an der Welt interessiert, weil er sich nie wegbewegen und abnabeln durfte. In der Beziehungswelt braucht der Mensch jedoch Bindung UND Trennung. Darf sich das Kind nicht von der Mutter fortbewegen, verharrt es bis ins hohe Erwachsenenhalter in der Mutterbindung und bleibt das ewige Kind.

Selbst wenn sich der Junge später von der Mutter löst, weil er beispielsweise heiraten will, ist es sehr wahrscheinlich, dass er sich eine Ehefrau sucht, mit der er die Mutter-Symbiose fortlebt. Findet er wiederum eine Frau, die in dieser Rolle aufgeht, können beide durchaus miteinander glücklich werden. Allerdings haben beide nie gelernt, mit Trennung und mit der damit verbundenen Traurigkeit umzugehen – mit womöglich fatalen Folgen.

 

Wie verläuft der erste Abnabelungsprozess beim Kleinkind?

Das 1-jährige Kind löst sich vom Schoss der Mutter und krabbelt weg. Es krabbelt ungefähr 3-4 Meter, dann hält es inne, dreht sich um und schaut, was die Mama macht. Lächelt die Mutter jetzt und begrüßt die Fortbewegung mit einem bestätigendem Nicken, dann krabbelt das Baby freudig nochmal weiter weg, so 5-6 Meter. Dann hält es wieder inne und schaut zurück. Jetzt findet es die Distanz zu groß, krabbelt schnell zurück, will auf den Schoss der Mutter und fest umarmt werden. Nach 5 Minuten hat das Kleinkind meist genug Energie getankt. Jetzt will es erneut runter vom Schoss und wieder wegkrabbeln.

Der Kinderarzt und Psychoanalytiker Winnicott vergleicht dieses kindliche Verhalten mit einem Flugzeugträger. Der Träger (die Mutter) ist die Basisstation für die Flugzeuge (das Kind). Von dort starten sie, erkunden die Welt und drehen ihre Runden. Ist der Tank leer, kehren sie rasch zurück und landen auf dem Flugzeugträger. Dort tanken sie auf und starten erneut.

Wenn der Abnabelungsprozess nicht unterstützt wird

Stellen wir uns vor, das Baby krabbelt weg, dreht sich um und die Mutter schaut traurig. Das Kind spürt unbewusst, dass die Mutter leidet und bekommt Angst. Zum Beispiel davor, dass sich die Mama abwendet und das Kind im Stich lässt. Um beim Beispiel mit dem Flugzeugträger zu bleiben: Was für eine Katastrophe wäre es, wenn das Flugzeug zum Auftanken landen möchte und der Träger ist plötzlich weg?

Die Folge: das Kind stellt seine Abnabelungsversuche ein und klammert sich an die Mutter. Es hat verinnerlicht, dass sein Streben, die Welt zu entdecken, „böse“ ist. Es wird sich künftig nicht mehr der Gefahr aussetzen, von der Mutter womöglich verlassen zu werden.

 

Zwei Urworte der Kommunikation: JA und NEIN

„Ja“ gehört bei der Entwicklung eines Kindes in die Bindungsphase und „Nein“ in die Trennungsphase. Der Wegbereiter der Säuglingsforschung, Rene Spitz sagt, dass wir, um zu kommunizieren, diese zwei Worte brauchen. Wir müssen lernen, „Ja“ zu sagen, aber auch das „Nein“ sagen lernen, um uns gesund zu entwickeln. Dies geschieht meist mit Beginn der Trotzphase, in der der eigene Wille erwacht und das Bestreben nach individuellem Ausdruck.

Wenn das Kleinkind jedoch die Erfahrung mache, dass nur „Ja“ sagen gut ist und „Nein“ sagen als böse empfunden wird, wird es um die Chance gebracht, sich zu einem eigenständigen Individuum zu entwickeln, das seine Grenzen wahrt.

Das Kleinkind erfährt das Nein gleichzeitig auch passiv, zum Beispiel, wenn es etwas von der Mutter möchte, aber noch ein paar Minuten warten muss, weil diese gerade telefoniert. In dieser Situation erlebt das Kind, dass ihm eine Grenze gesetzt wird. Das ist wichtig, denn es lernt dabei, mit der damit einhergehenden, altersgemäßen Frustration umzugehen. Unterbricht die Mutter jedoch ihr Telefonat und wendet sich sofort dem Kind zu, fehlt diese Erfahrung.

Das führt dazu, dass der erwachsene Mensch nicht damit umgehen kann, wenn ihm der Partner in der Beziehung Grenzen setzt. Im schlimmsten Fall empfindet er oder sie dies als komplette Zurückweisung der eigenen Person. Im Falle einer Trennung wird der Verlust so schwerwiegend empfunden, dass eine Depression die Folge sein kann.

Eine tiefenpsychologische Beratung kann dich dabei unterstützen, das „Nein“ sagen zu lernen und damit Grenzen zu setzen und im Gegenzug mit gesetzten Grenzen umzugehen.

 

Zurück

Wie geht es jetzt weiter?

Über meinen Onlinekalender kannst du ein kostenloses Erstgespräch mit mir vereinbaren, bei dem wir uns kennenlernen. Ich rufe dich an deinem Wunschtermin an und wir besprechen dann, wie ich dir weiterhelfen kann.